Zauneidechsen und Schlingnattern bedrohen den Bau der Elektroautofabrik in Grünheide – so und so ähnlich lauteten Schlagzeilen in den vergangenen Wochen.
Es wäre allerdings das erste Mal, dass diese kleinen und überaus friedlichen Tiere irgendetwas oder irgendjemanden bedroht hätten. Es geht hier auch nicht nur um einige Zauneidechsen und Schlingnattern auf einer unbekannten Schutthalde. Es geht hier um nicht mehr und nicht weniger als um den Wert von Natur und die zukünftige Bedeutung des Naturschutzes im Lande Brandenburg und auch darüber hinaus.
Quadratkilometerweise Wald abzuholzen, um eine Autofabrik zu bauen, passt weder ins 21. Jahrhundert noch in ein entwickeltes Industrieland mit einer nach eigenen Angaben vorbildlichen Umweltgesetzgebung.
Dies ist auch nicht mit der angeblichen Bedeutung des Baus dieser Autofabrik für den Klimaschutz zu rechtfertigen, die beim gegenwärtigen Stand des Ausbaus der regenerativen Energien in keinster Weise nachgewiesen ist. Es ist auch nicht mit der Schaffung von Arbeitsplätzen zu rechtfertigen, für die im näheren Einzugsgebiet überhaupt kein Bedarf in diesem Umfang besteht. Nicht zuletzt sollte man sich auch der Signalwirkung sowohl für den weltweiten Naturschutz als auch für den Gedanken einer angemessenen Bürgerbeteiligung bewusst sein, die von der Art und Weise des Baus dieser Fabrik ausgeht.
Um den Bau dieser Fabrik in dem vom Investor gewünschten Tempo durchzuziehen, besann man sich auf eine Ausnahmeregelung in der Genehmigungsgesetzgebung aus den 90er Jahren, mit der die für ein Bauvorhaben dieser Größenordnung vorgeschriebene Umweltverträglichkeitsprüfung praktisch komplett ausgehebelt und zunächst durch unverbindliche Prognosen zuständiger Behörden ersetzt werden konnte. Die Umweltverträglichkeitsprüfung wurde sozusagen baubegleitend durchgeführt – mit dem erwartbaren Ergebnis, dass man keine grundsätzlichen Genehmigungshindernisse sehe. Dies alles stand unter der Prämisse, dass derjenige “keinen Fuß mehr in die politischen Türen bekommen würde, der diese Ansiedlung an einer Fledermaus scheitern lässt”. Diese Ausnahmeregelung kam hier in einem bisher nicht dagewesenen Ausmaß zur Anwendung. Das Risiko der aus wirtschaftlichen Gründen des Investors in einem wahnwitzigen Tempo errichteten Fabrik tragen damit vor allem Anwohnerinnen und Anwohner, deren Lebensumfeld in ebendiesem Tempo umgestürzt wird, ohne dass ihnen der bei den derartigen Dimensionen des Vorhabens übliche und angemessene Rechtsweg offenstehen würde.
Die baurechtliche Grundlage bildete ein 20 Jahre alter – schon damals höchst umstrittener – Bebauungsplan, der zu seiner Entstehungszeit ebenfalls durch den damals bestehenden Handlungsdruck aufgrund der geplanten Ansiedlung eines Automobilbauers mit heißer Nadel gestrickt worden war. Ob die damalige Herauslösung des B-Plan-Gebietes aus dem seit 1965 bestehenden Landschaftsschutzgebiet heutigen Maßstäben genügen würde, ist mehr als zweifelhaft.
Nach der offiziellen Verkündung des Vorhabens im November 2019 begann eine bis dahin beispiellose Kampagne zur Diffamierung der einheimischen Kiefernwälder (“ökologisch wertlose Stangenholzplantagen”, “Mono-Schadholzkulturen”, “erntereifer Wirtschaftswald” und weitere herabwürdigende Begriffe machten selbst in etablierten und dem Umweltschutz ansonsten aufgeschlossenen Medien sowie in den Kommentarforen die Runde), Brandenburgs Kiefernwäldern wurde komplett das Vorhandensein schützenswerter Arten abgesprochen, es wurden Theorien von einem negativen Einfluss von Kiefernwäldern auf die Grundwasserneubildung aufgestellt “höhere Grundwasserneubildungsrate bei komplett versiegelten Flächen” und damit einfachste ökologische Zusammenhänge – aus Unwissenheit oder Absicht – verneint. Man hätte meinen können, in manchen Kommentarforen wären ganze Trollfabriken aufgefahren worden, um jedweden Naturschutzgedanken und jedweden Naturschützer in Grund und Boden zu stampfen. Angesichts einer in wenigen Tagen mit einer ganzen Kompanie von tonnenschweren Holzerntemaschinen komplett abgemähten Waldfläche von zig Hektar war es im nachhinein natürlich leicht zu behaupten, dort hätten niemals schützenswerte Tiere gelebt, bzw. diese wären nur das “coronabedingte Phantasieprodukt” von Naturschützern, von einem ökologischen Wert der doch weit mehr als 20 (bis zu 140 !) Jahre alten Bäume ganz zu schweigen.
Dabei ist gerade die sehr seltene Schlingnatter vor allem im Bereich von Wegen und Waldschneisen in den Nadelholzforsten Brandenburgs zu finden. Diese Lebensräume haben erhebliche Bedeutung für die Sicherung der lokalen Populationen sowie für den genetischen Austausch zwischen Vorkommensschwerpunkten.
Das Vorhabengebiet war von 1964-1990 militärisches Sperrgebiet und aufgrund der damit verbundenen Ungestörtheit von großer ökologischer Bedeutung in Bezug auf Flora und Fauna. Folgerichtig war das Vorhabengebiet von 1965 bis zu seiner Herauslösung 2001 Teil des Landschaftsschutzgebietes „Grünau – Grünheider Wald- und Seengebiet“, welches 2006 in das „Müggelspree-Löcknitzer Wald- und Seengebiet“ umgewidmet wurde.
Gerade die großflächigen Blockschutthalden, eine kleinteilige Landschaftsstruktur und die Ungestörtheit inmitten des Waldes boten Reptilien über Jahre hinweg unvergleichliche Lebensbedingungen. Man kann diese ohne weiteres als Spenderpopulation für ganz Ostbrandenburg bezeichnen. Desweiteren wurden in dem Vorhabengebiet von fachkundigen Artenschützern 12 Fledermausarten und eine hohe Insektendichte nachgewiesen!
Um die Kritik an den massiven Abholzungen zu entkräften, wurde im Rahmen einer regelrechten Medienkampagne gebetsmühlenartig die Behauptung verbreitet, der hier abgeholzte Wald würde dreifach wieder aufgeforstet und in wenigen Jahren stünde die dreifache Fläche schönsten Mischwaldes zur Verfügung. Dazu ist folgendes zu sagen:
Es erfolgt lediglich eine Aufforstung der gleichen Fläche, dazu sogenannte “Waldumbaumaßnahmen”, die jedoch sowieso Bestandteil des forstwirtschaftlichen Programmes des Landes sind und ohnehin in einem absehbaren Zeitrahmen durchgeführt worden wären.
Bei den aufzuforstenden Flächen handelt es sich um mehr als 70 im ganzen Land verstreute Einzelflächen, keineswegs um einen Biotopverbund. Es handelt sich weiterhin teils um ertragsarme – weil ausgelaugte – ehemalige landwirtschaftliche Flächen, auf denen in absehbarer Zeit nichts entstehen wird, was auch nur annähernd die Bezeichnung “Wald” verdient hätte.
Allein der auf der Vorhabensfläche abgetragene Waldboden mit seiner Mächtigkeit von ca. 30 cm und seinen zahlreichen Mikroorganismen, die für ein gesundes Wald-Ökosystem unabdingbar sind, hat für seine Entwicklung einen Zeitraum von mehreren tausend Jahren benötigt.
Die in Brandenburg vorherrschenden Kiefernwälder haben historische Hintergründe. Ende des 18. / Anfang des 19. Jh. waren die einheimischen Waldbestände sehr stark degradiert mit der Folge einer voranschreitenden Bodenerosion. Die Anpflanzung von anspruchslosen Baumarten (Kiefer) war oft die einzige Möglichkeit, die Böden zu stabilisieren, da Eichen und Buchen auf diesen Böden nicht mehr wachsen konnten. In den letzten rund 100 Jahren haben sich die Böden in Bezug auf Nährstoffgehalt und organische Bodensubstanz wieder erholt, so dass hier auch wieder Laubbäume wachsen können. Das braucht aber viel Zeit, da erst ab einem gewissen Alter der Kiefern Laubbäume wie Eichen, Buchen etc. unterpflanzt werden können. Die Altbestände an Kiefern bilden dabei einen Schutzschirm für die heranwachsenden Laubbäume. Daher wird auch erst seit Mitte der 1990er Jahre wieder Waldumbau in größerem Umfang betrieben.
Der aktuelle Wald-“Schadens-“Bericht vom Februar 2021 macht noch einmal deutlich, dass gesunder Wald – und dies war der abgeholzte Wald unbestritten – ein nicht hoch genug zu schätzendes Gut ist. Diese 3 km² Wald inmitten eines Landschaftsschutzgebiets sind unwiderbringlich verloren, und dazu werden weitere km² für Infrastruktur, weitere Bauvorhaben etc. etc. kommen, bis an diesem ehemaligen Landschaftsschutzgebiet nichts mehr schützenswert sein wird.
Die Geschehnisse in Grünheide stehen exemplarisch für die Art und Weise des Umganges mit den Herausforderungen der Zukunft – Klimaschutz und Artenschutz. Die massive Zerstörung von Wald, Natur und Landschaft mit dem Klimaschutz zu begründen, ist ein verheerendes Signal.
Den Arten-, Natur- und Landschaftsschutz in Brandenburg und darüber hinaus wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen – auch darum geht es beim Einsatz für den Erhalt des Lebensraumes von Schlingnatter und Zauneidechse, zahlreichen Fledermausarten und einer vielfältigen Insektenpopulation, denn bekanntlich lassen sich einmal ausgestorbene Arten nicht mehr wiederbeleben, genauso wenig wie sich eine einmal zerstörte Natur und Landschaft wieder herrichten lässt.
Genau diese Möglichkeit des Rückgängigmachens der vorläufig zugelassenen Baumaßnahmen ist jedoch eine der Grundvoraussetzungen der hier angewandten Ausnahmeregelung beim Bau der Fabrik. Was wohl die Zauneidechsen und Schlingnattern dazu sagen würden?